SL Hessen

Sudetendeutsche gedenken der Opfer von Gewalt und Terror

SL-Kreisgruppe Groß-Gerau/Hessen

"Wir sollten es damit nicht bewenden lassen"

Die Kreisgruppe der Sudetendeutschen Landsmannschaft Groß-Gerau hatte in diesem Jahr am 15. März zu ihrer alljährlichen Gedenkfeier mit Kranzniederlegung für die "März-Toten" am Vertriebenkreuz, einem alten Friedhofskreuz aus Leitmeritz in Nordböhmen, am Wallfahrtsort Maria Einsiedel bei Gernsheim eingeladen. Sie gedachten dort der Männer, Frauen und Kinder, die am 4. März 1919 bei friedlichen Demonstrationen für das Recht auf Selbstbestimmung vor der Staatsgründung der damaligen Tschechoslowakei in mehreren Orten des Sudetenlandes Opfer brutaler Gewalt und Willkür wurden. Bereits zuvor wurde während der Eucharistiefeier in der Pilgerhalle des Wallfahrtsortes in Predigt und Fürbitten darauf eingegangen. "Wenn dieser jährliche Gedenktag für das Selbstbestimmungsrecht nicht zu einer bloßen Pflichtübung werden soll, dürfen wir ihn nicht lediglich als Tag der Rückschau begehen. Gewiss, das Gedenken an die 54 Opfer des friedlichen Demonstrationsmarsches am 4. März 1919 gegen ein himmelschreiendes Unrecht ist der Anlass: Nein, wir wollen unsere Toten nicht vergessen, und ebenso wenig wollen wir vergessen, warum und wie sie gestorben sind. Aber damit sollten wir es nicht bewenden lassen, sonst macht uns der heutige Gedenktag allmählich müde und wird zu Routine", so Pfarrer Bosse in seiner Predigt. Eduard Fenkl und Monika Kasper von der Egerländer Gmoi zīKelsterbach sprachen die Fürbitten, und baten Gott: "Mach uns bereit, denen zu vergeben, die an uns schuldig geworden sind, Deine Versöhnung einander zu schenken, uns so Deinem Reich den Weg zu bereiten."

Bei der anschließenden Gedenkfeier am Vertriebenenkreuz ging Helmut Brandl, Obmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft im Kreisgebiet Groß-Gerau, in seiner Ansprache auf die unabdingbare Schaffung von Volksgruppen- und Minderheitenrechten in einem sich wandelnden Europa ein und führte dazu aus: "Wir sind heute an diesem Gnadenort Maria Einsiedel bei der "Böhmischen Madonna" zusammengekommen, um unschuldiger Menschen zu gedenken. Dies soll uns nach so langer Zeit Ansporn und Verpflichtung sein, sich für das Recht auf Selbstbestimmung von Minderheiten, für die Schwachen weltweit immer wieder einzusetzen. Die Schüsse des 4. März 1919 auf friedlich demonstrierende Menschen - darunter auch Frauen und Kinder - in zahlreichen Orten des damaligen Sudetenlandes trugen mit dazu bei, dass ein über viele Jahrhunderte währendes fruchtbares Zusammenleben unterschiedlicher Völker, zuletzt in der Donaumonarchie Österreich-Ungarn, ein jähes Ende fand und letztendlich zu den späteren Vertreibungsverbrechen führte. Oft wird die Vertreibung der Deutschen dabei monokausal als Vergeltung der NS-Verbrechen gesehen. Die Vertreibung nur auf den vom Deutschen Reich ausgelösten Zweiten Weltkrieg mit seinen Verbrechen zurückzuführen, greift zu kurz. Die Vertreibung hat vielmehr langfristige Ursachen, und zwar im Nationalismus des 19. Jahrhunderts, dessen Radikalisierung vielfach zu Plänen und zum Versuch "ethnischer Säuberungen" führte, entweder durch nationale Angleichung der Minderheiten oder durch deren Austreibung bis hin zur Ausmerzung."

Obwohl das Modell Europäische Union seitdem viele Fortschritte erlebt habe, schürten Währungskrise und die daraus resultierenden Konflikte zwischen den heutigen Nationalstaaten Unsicherheit bei Politikern und Bürgern. Der weitere Weg nach Europa könne nur gelingen, wenn der Wille, der Glaube und das Rechtsempfinden aller Europäer in die Verfassung Europas einfließen, in der für Menschen verachtende Dekrete aus der Vergangenheit kein Platz sein dürfe. Mit ihrem Willen zur bedingungslosen Versöhnung auf der Basis von Wahrheit und Gerechtigkeit hätten die Heimatvertriebenen beim Aufbau Europas schon früh einen wichtigen Beitrag geleistet.
"Sie sind damit zu Friedensstiftern in Europa geworden."

Die Feierstunde wurde von Kerstin Schneider mit Liedern aus der Deutschen Messe von Franz Schubert auf der Trompete sowie von der Egerländer Gmoi zīKelsterbach mitgestaltet.

Text und Fotos: Helmut Brandl
Im März 2015