Die Opfer des 4. März 1919 dürfen nicht vergessen werden

Gedenkveranstaltung der SL-Landesgruppe Hessen in Seligenstadt

Der 4. März 1919 ist für die Sudetendeutschen ein denkwürdiges Datum.

Damals fanden in den sudetendeutschen Gebieten friedliche Demonstrationen für die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts statt. Tschechisches Militär schoss in die friedliche Menge. Es waren 54 Tote und über hundert Verletzte zu beklagen.

Alljährlich wird in der Bundesrepublik Deutschland dieser Toten gedacht.

In Hessen wurde die zentrale Veranstaltung zum 4.März 1919 in Seligenstadt durchgeführt. Der "Riesensaal" in Seligenstadt war bis auf den letzten Platz besetzt.
Über 400 Personen kamen zu dieser Gedenkveranstaltung.

Zu Beginn sorgte das TGS-Musikcorps mit der Melodienfolge "Vom Egerland zum Moldaustrand" für Einstimmung. Eindrucksvoll war auch der "Einzug der Fahnen" unter dem "Bozener Bergsteigermarsch". Die Menschen klatschten, bis die Fahnenträger auf der Bühne Aufstellung genommen hatten.

Landesobmann Alfred Herold verwies einleitend auf die Tradition, jedes Jahr ein solches Gedenken durchzuführen. "Es ist der Zwang einer geschichtlichen Stunde, der uns zusammenkommen lässt. Unser Gedenken gilt dem 4.März 1919. Dieser Tag wurde zur Geburtsstunde der sudetendeutschen Volksgruppe. Wir müssen diesen Tag aufbewahren im Gedächtnis unserer Herzen - über Raum und Zeit hinweg.", hob er besonders hervor.
Der Landesobmann zitierte den Aufruf der deutsch-böhmischen Landesregierung: "Schweigend, aber nicht stumm, richten wir heute Auge und Herz nach Wien, wo das freie Deutsch- Österreich zum ersten Male nach Beendigung des Weltkriegs die Vertreter des Volkes versammelt".

Die Festrede hielt Prof. Dr. Manfred Kittel von der Universität Regensburg.

Prof. Kittel stellte die rhetorische Frage, wie sich die Geschichte entwickelt hätte, wenn damals den Sudetendeutschen das Selbstbestimmungsrecht gewährt worden wäre. Nach seiner Auffassung hätte Hitler bei den Auslandsdeutschen nicht diesen Zulauf gehabt. In der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts sah der Redner die Ursachen für das Münchner Abkommen sowie für die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Als tragisch nannte er die Tatsache, dass den Siegermächten des 1. Weltkriegs die politische Weitsicht fehlte. So sei die Grenzziehung von 1919 ein schwerer Schlag für die Westpreußen im polnisch besetzten Korridor, für die Ostoberschlesier, für die Sudetendeutschen in der neu gegründeten Tschechoslowakei , für die Donauschwaben im neuen Jugoslawien sowie für die Deutschen in Ungarn gewesen.

Als Grundproblem der Pariser Friedensordnung von 1919 führte Prof. Kittel an, "dass sie den polnischen, tschechischen und dem großserbisch-jugoslawischen Staat erlaubte, allzu weit über die Grenzen des nationalen Siedlungsgebietes hinauszugehen, oder dass die nicht zumindestens veranlasst hat, statt neuer Nationalstaaten Nationalitätenstaaten zu bilden - nach Schweizer Modell- mit autonomen Rechten für die einzelnen Volksgruppen". Dadurch habe sich der Nationalitätenkonflikt nach 1918 noch einmal verschärft. Durch diese Situation sei der "Gärstoff" vorhanden gewesen, der sich zum Sprengstoff entwickelte. Hitler brauchte den Sprengstoff nur zu zünden, um den "geplanten Lebensraumkrieg" im Osten zu entfesseln. Prof. Kittel stellte klar, der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die Vergeltung für das Münchner Abkommen und die NS-Verbrechen führten nicht allein zur Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Vielmehr spielten ältere "Motivschichten" eine Rolle. So habe Edward Benesch bereits 1938 die Vertreibung geplant.

Der Referent setzte sich auch mit dem Vorwurf der Illoyalität der Deutschen gegenüber ihrem eigenen Staat und dem Vorwurf der "fünften Kolonne des Dritten Reiches" auseinander. Diese Argumentation greife nicht , da die größte Gruppe der Vertreibungsopfer Reichsdeutsche aus Schlesien, Pommern, Ostpreußen und Ostbrandenburg waren.

Mit Blick auf die Person Konrad Henleins fuhr Prof. Kittel fort: "Wenn man sagt, der Sudetenführer Konrad Henlein sei 1938 zum Verräter am tschechoslowakischen Staat geworden, was waren dann - nach den gleichen Kriterien - Tomas Masaryk und Edward Benesch 1918 im Verhältnis zur Habsburger Monarchie gewesen? Ich kenne den Einwand, Henlein erzwang den Anschluss an eine Diktatur, Masaryk gründete eine Demokratie. Hier muss man doch sehen, dass auch eine intakte Habsburger Monarchie 1918/19 demokratisiert worden wäre."

Auf die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg eingehend, führte Prof. Kittel aus, die Verantwortung habe in erster Linie bei Stalin sowie bei den "führenden Exil- und Nachkriegspolitikern der Tschechoslowakei, Ungarns und Jugoslawiens" gelegen. Weiter stellte der Redner die Lage im Westen nach dem Zweiten Weltkrieg der Situation im östlichen Europa gegenüber. So wurden im Westen Nazi-Verbrecher individuell bestraft. Im Osten hingegen sei man von einer Kollektivschuld der Deutschen für den "Nazifaschismus" ausgegangen. Das führte zu einer kollektiven Bestrafung durch Vertreibung. Als Beispiel dafür führte Prof. Kittel die Benesch-Dekrete an. Für Prag sei die kollektive Strafe wichtiger gewesen als die individuelle. Zu den Benesch-Dekreten bemerkte er abschließend: "Wir wollen eine stabile Europäische Union. Aber mit Leichen im Keller ist noch nie ein tragbares Fundament errichtet worden".

In den Grußworten der Ehrengäste kam die Verbundenheit mit den Sudetendeutschen bzw. mit den Heimatvertriebenen zum Ausdruck. Die Bürgermeisterin der gastgebenden Stadt Dagmar Nonn-Adams kritisierte mit Blick auf den 4.März 1919, dass Teile der Geschichte nicht den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Solche Ereignisse gebe es in der neueren Zeit immer wieder. Die Bürgermeisterin trat für das Zentrum gegen Vertreibungen ein. Sie missbilligte in diesem Zusammenhang die Schmähungen, die die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, ertragen musste. Frau Nonn-Adams rief dazu auf, die Erinnerung an die Vertreibung wach zu halten. Unter großem Beifall sagte sie abschließend: "Sie können auf meine Verbundenheit und Hilfe zählen".

Die Erste Kreisbeigeordnete des Landkreises Offenbach, Claudia Jäger, lobte die Aufbauleistung der Heimatvertriebenen. Die Vertriebenenverbände seien in ihrer Arbeit immer vorwärts gewandt. Bei den heutigen Integrationsproblemen solle man die Heimatvertriebenen zum Vorbild nehmen.

Bei der Veranstaltung wurden auch verdiente Mitglieder geehrt. So verlieh Landesobmann Alfred Herold das Ehrenzeichen der Sudetendeutschen Landsmannschaft an Christa Nessel, Hans Nessel und Reinhold Scheid.

Otto Klösel wurde mit dem Großen Ehrenzeichen ausgezeichnet.

Wie bei allen bisherigen Veranstaltungen zum 4.März 1919 fand wieder ein Zwiegespräch zwischen Agnes und Ludmilla (Edith Zaschka und Julia Schickedanz von der Egerländer Gmoi Offenbach) statt. Sie übten Kritik, dass das damalige Geschehen verschwiegen wird.

Bei der Gedenkfeier wirkten noch mit der Sängerchor der Turngemeinde. Durch das Programm führte gekonnt Otto Klösel.

Adolf Wolf
im März 2008