"Wir sind in Lumpen gekommen, aber nicht zur Lumpen geworden"

Gedenkveranstaltung der Landesgruppe Hessen der Sudetendeutschen Landsmannschaft anlässlich des Eintreffens des ersten Vertriebenentransportes

Weilburg an der Lahn stand bei der Gedenkveranstaltung anlässlich des Eintreffens des ersten Vertriebenentransportes vor 60 Jahren ganz im Zeichen der Sudetendeutschen. Den Auftakt bildete die Eröffnung einer Ausstellung im Stadt- und Bergbaumuseum Weilburg mit dem Titel 60 Jahre Vertreibung-Neubeginn in Hessen. Weiter erfolgte die Einweihung einer Gedenktafel auf dem Bahnhof von Weilburg. Den Höhepunkt stellte die Gedenkveranstaltung in der Stadthalle in Weilburg dar. Nach dem offiziellen Teil wurde auf einer Großleinwand der neueste Film von Harald Henn "Westwärts ins Ungewisse" gezeigt, der sich mit dem ersten Vertriebenentransport befasst.

Diese Veranstaltungen fanden das große Interesse der Medien. Die örtliche Presse sowie das Fernsehen und der Hörfunk des Hessischen Rundfunks berichteten darüber.

Dank an die einheimische Bevölkerung

In seiner Ansprache erinnerte der Landesobmann der Landesgruppe Hessen der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Alfred Herold, an den ersten geschlossenen Vertriebenentransport, der aus Kuttelplan im Egerland am 4. Februar 1946 in Weilburg eintraf. Ihm folgten weitere 294 Transporte.
Herold führte dazu aus, heute müsse an die Not der damaligen Zeit ohne "billiges Pathos" erinnert werden. "Damals vor 60 Jahren musste die Not Überstunden machen und die Not war Stammgast in unseren Familien. Konjunktur hatten nur die Hersteller von Stacheldraht", so Herold wörtlich. Es solle jedoch nicht nur an Trauer und Schmerz erinnert werden, sondern auch in Stolz und Dankbarkeit. Die deutschen Heimatvertriebenen seien nach dem Ziel der Vertreiber nicht zu einer sozialen Atombombe geworden, sondern sie hätten ihr "geistiges Fluchtgepäck" ausgepackt und mitgeholfen "dieses Hessenland mit aufzubauen". "Wir haben mitgeholfen, dass aus Trümmern Fundamente wurden", resümierte der Landesobmann. Weiter richtete er Dank an die einheimische Bevölkerung.
"Hoffen wir, dass auch in den hessischen Geschichtsbüchern zu lesen sein wird, welche große Gemeinschaftsleistung Heimatverbliebene und Heimatvertriebene gemeinsam vollbracht haben", fuhr Herold fort.
Weiter dankte der Landesobmann Kreisobmann Otto Riedel und den BdV- Kreisvorsitzenden Josef Plahl für die Vorbereitung.

Gedenkveranstaltung fand großes Interesse

Die Bedeutung der Veranstaltung zeigte auch die große Zahl der Ehrengäste.

Besonders begrüßte Herold den Vertreter der Hessischen Landesregierung und Hauptredner bei der Veranstaltung, Staatsminister Karlheinz Weimar.

Als weitere Ehrengäste sind zu nennen: Der Bürgermeister von Weilburg, Hans-Peter Schick, Erster Stadtrat Bruno Götz, Vertreter der städtischen Gremien, der Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler Rudolf Friedrich, die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, Bundestagsabgeordneter Holger Haibach, die Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer, Hildegard Pfaff und Helmut Peuser, den Vorsitzenden des Kreistages Limburg -Weilburg Robert Becker, die Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Weilburger Stadtverordnetenversammlung Christine Zips, Bürgermeister Bernd Bessel und Regierungspräsident Wilfried Schmied.

Von kirchlicher Seite nahmen teil: Pfarrer Karl Kindermann, Ehrendomherr von Leitmeritz und Diözesanvertriebenenseelsorger der Diözese Limburg , Geistlicher Rat, Pfarrer Dr. Wolfgang Stingl, Vertriebenenseelsorger der Diözese Limburg und Pfarrerin Petra Schramm von der evangelischen Kirchengemeinde Weilburg.

Weiter sind als Ehrengäste aufzuführen: der Vorsitzende VdK Hessen-Thüringen Udo Schlitt, Jürgen Heyne, Mitglied des Rundfunkrates beim Hessischen Rundfunk, Georg Unkelbach vom Hessischen Sozialministerium, die Landesvorsitzende des BdV-Thüringen, Christa Schulz, Otto Hörtler, Landesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft Thüringen, stellvertretend für die Vorstände des BdV Hessen sowie der Landsmannschaften Karl Bauer , die Bundesfrauenreferentin der Sudetendeutschen Landsmannschaft Rosemarie Kretschmer, der Landesvorsitzende der Ackermanngemeinde Rudi Krämling und von der Seligergemeinde Walter Jedlitschka.

Ein besonderer Gruß galt neben den anderen Vertretern der Medien Harald Henn, dem Autor des Films "Westwärts ins Ungewisse".

In die Zukunft blickend, bemerkte der Landesobmann:" Wir Sudetendeutschen wollen auch in der Zukunft mithelfen am Aufbau einer gerechten Völker- und Friedensordnung in Europa, die nur auf der Grundlage der geschichtlichen Wahrheit Bestand haben kann. Wir grüßen in Dankbarkeit unser schönes Hessenland. Wir grüßen in unverbrüchlicher Treue unser geliebtes Sudetenland".

Das Totengedenken sprach Kreisobmann Otto Riedel.

Heimatvertriebenen wollen sich nicht "einkapseln"

In ihrem Grußwort wies die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, darauf hin, dass sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges Not und Elend für die deutschen Heimatvertriebenen fortgesetzt hätten. Mit Blick auf ihr eigenes Schicksal sagte sie, die einheimische Bevölkerung sei überfordert gewesen. Die Integration nannte sie ein Wunder. Die Menschen hätten sich zusammengefunden. Das bewiesen auch die zahlreichen Ehen zwischen Einheimischen und Vertriebenen.
Weiter warb sie für das Zentrum gegen Vertreibungen. Die Geschichte müsse aufgearbeitet werden. Die deutschen Heimatvertriebenen wollten sich damit nicht "einkapseln", sondern auch die Vertreibungen anderer Völkern darstellen.

Vertreibung führte zu traumatischen Erlebnissen

Der Landesbeauftragte der Hessischen Landesregierung für Heimatvertriebene und Spätaussiedler, Rudolf Friedrich, schilderte seine grauenvollen Eindrücke, die er als "10jähriger Bube" bei der Vertreibung erlebte.
In Viehwaggons hätten etwa 35 Personen einsteigen müssen. Im Waggon herrschte betretenes Schweigen, Stöhnen von alten Kranken und Weinen von Säuglingen.
Friedrich wörtlich:" Auf zwei Haltestationen mussten aus unserem Waggon Tote "entsorgt" werden. Sie wurden aus den halboffenen Türen geworfen. Das still schluchzende Weinen der beiden Mütter der Säuglinge, die aus Ernährungsmangel oder Krankheit starben, werde ich nie vergessen".
Kein Arzt und kein Psychologe kümmerte sich um diese traumatisierten Menschen.
Trotz dieser Traumatisierung hätten die Heimatvertriebenen Hessen aufgebaut und geprägt. Weder eine "wilde" noch eine "organisierte Vertreibung könne Recht sein. Einen humanen Abschub, tschechisch Odsun" habe es nie gegeben.

Verbundenheit mit den Heimatvertriebenen bekundet

In den weiteren Grußworten kam die Verbundenheit mit den Heimatvertriebenen zum Ausdruck.

Bürgermeister Hans Peter Schick stellte heraus, im Zeitalter der Globalisierung sei Heimat mehr als der Wohnort. Er lobte die Aufbauarbeit der Vertriebenen. Sie hätten angepackt und gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung den Lebensraum gestaltet. Die Menschen waren damals lösungsorientiert und nicht problemorientiert wie heute, stellte er fest.

Josef Plahl sprach ein Grußwort für den Landrat des Landkreises Limburg-Weilburg Er hob die Bereicherung des Landkreises durch die Heimatvertriebenen hervor.
Es seien Menschen gekommen, die den Willen hatten, das Land aufzubauen. Die damaligen Probleme hätten aber gemeinsam gelöst werden können.

Sudetendeutsche brachten sich in das Leben in Hessen ein

Die Gedenkrede hielt der hessische Finanzminister, Staatsminister Karlheinz Weimar. Vertreibung und die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland gehörten zusammen. Das Unrecht der Vertreibung und dessen Aufarbeitung müssten dabei einbezogen werden. Viele Vertriebene hätten dieses Unrecht noch nicht gefühlsmäßig verarbeitet. Er nannte in diesem Zusammenhang seine Mutter, die aus Ostpreußen flüchten musste und auf einem der Flüchtlingsschiffe unterkam.
Seine Mutter wäre bis heute nicht bereit, ihre Erlebnisse bei der Flucht niederzuschreiben.

Auf die damalige Zeit eingehend, sagte er, die örtliche Bevölkerung hätte es nicht leicht gehabt. Die Vertriebenen wurden zwangsweise eingewiesen. Für jede Person standen nach den Richtlinien nur 6 Quadratmeter zur Verfügung. Auch Staatsminister Weimar nannte die Aufnahme und Integration der Heimatvertriebenen als die größte Gemeinschaftsleistung des deutschen Volkes. Er zog Parallelen zu der heutigen Zeit. Nach den damaligen Erfahrungen müsste es gelingen, die heutigen Probleme in den Griff zu bekommen. Damals hätten die Heimatvertriebenen selbst Hand angelegt beim Wiederaufbau des Landes Hessen und der Bundesrepublik Deutschland. Auch die hessische Politik gestalteten Sudetendeutsche mit. Hier führte er die sudetendeutschen Politiker, den Bundestagsabgeordneten und späteren Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, Wenzel Jaksch, die Staatsminister in Hessen Gotthard Franke und Gustav Hacker, die Staatssekretäre Dr. Walter Preißler und Frank Seiboth und die langjährigen Landtagsabgeordneten Richard Hackenberg und Rudolf Friedrich, den jetzigen Landesbeauftragten, an. Das geistige und kulturelle Leben hätten Dr. Viktor Aschenbrenner und Edgar Hobinka mitgeprägt.
Im kirchlichen Bereich nahmen der Vater der Königsteiner Anstalten Weihbischof Prof. Dr. Kindermann und Weihbischof Gerhard Pieschl, derzeitiger Vertriebenenbischof der Deutschen Bischofskonferenz großen Einfluss.
Als Unternehmer seien unter anderem Dipl. Ing. Hans Fleißner, Siegfried Theimer, Gerhard Schmidt und Ing. Gerolf Fleißner erfolgreich gewesen.

Neue Industrien und Ansiedlungen entstanden

Auch entstanden neue Industrien wie Musikinstrumentenindustrie mit ihrem Schwerpunkten in Nauheim bei Groß-Gerau und Battenberg/Eder sowie die Glaserzeugung in Limburg und Immenhausen bei Kassel. Zu nennen ist auch die Gründung der Glasfachschule in Hadamar.

Wie Staatsminister Karlheinz Weimar weiter bemerkte, wurden in Hessen durch den Zustrom der Heimatvertriebenen neue Siedlungen gegründet. Als Beispiele führte er an, die Heilsberg-Siedlung in Bad Vilbel, die Siedlung Lettgenbrunn bei Bad Orb und Stadtallendorf.

Integration umfasste auch den geistigen und kulturellen Bereich

Auch habe man in Hessen Wert darauf gelegt, dass die Integration auch den geistigen und kulturellen Bereich der Vertriebenen umfasste. Der Erhaltung des Kulturgutes der deutschen Heimatvertriebenen komme daher besondere Bedeutung zu. Dieses Kulturgut sei ein Bestandteil der christlich-abendländischen Kultur. Die Hessische Landesregierung werde auch weiter die Arbeit der Vertriebenenverbände finanziell und ideell unterstützen, sicherte der Hessische Finanzminister zu.

Im Verhältnis zu den östlichen Staaten hätten die Heimatvertriebenen mit ihrer Charta vom 5. August 1950 ein Zeichen der Versöhnung gesetzt. Damit habe man den Teufelskreis von Gewalt und Rache durchbrochen.

Staatsminister Weimar dankte weiter für grenzüberschreitende Arbeit der Heimatvertriebenen. Sie würden sich als Brückenbauer zu den östlichen Nachbarn verstehen. Auch müsse der Opfer gedacht werden. Hier zitierte er Bundespräsident Horst Köhler mit den Worten : "Wir trauern um alle Opfer, weil wir gerecht für alle Völker sein wollen, auch gegen unser eigenes."

Östliche Staaten müssen Unrecht der Vertreibung anerkennen

In seinem Schlusswort rief BdV-Kreisvorsitzender Josef Plahl die Regierung der östlichen Staaten auf, die Vertreibung als Unrecht einzugestehen.

Bei der Gedenkveranstaltung wirkten mit: Der Männergesangverein Liederkranz Weilburg, das Bläserensemble der Musikschule Weilburg und die Egerländer Gmoi zu Braunsfels.

Versöhnung kann nur auf der Grundlage der geschichtlichen Wahrheit zum Erfolg führen

Vor der Gedenkveranstaltung fand ein katholischer Gottesdienst mit Weihbischof Gerhard Pieschl statt. In seiner Predigt schilderte er die Erlebnisse bei der Vertreibung. Mütter und Großmutter hätten die Kinder liebevoll umsorgt und Probleme von ihnen ferngehalten. Er lobt die Betreuungsarbeit der sogenannten "Rucksackpriester". Die Menschen hätten damals Kraft im Glauben und in Christus gefunden.
Die Erfahrungen der Heimatvertriebenen müssten weiter getragen werden. Weihbischof Pieschl sprach den Heimatvertriebenen ein Lob für ihre Kontakte mit den Menschen, die in ihrer Heimat lebten, aus. Versöhnung könne aber nur auf der Grundlage der Wahrheit zum Erfolg führen.

Adolf Wolf