Die Vergangenheit ist kein Tabu mehr

Seminar des Deutsch-Europäischen Bildungswerks in Komotau

Im Rahmen der Seminarreihe "Begegnung und Verständigung" fand in Komotau ein Seminar des Deutsch-Europäischen Bildungswerks (Bildungseinrichtung des Landesverbandes Hessen des Bundes der Vertriebenen) statt.

Interessante Einblicke in das deutsch-tschechische Verhältnis ergaben sich bei dem Besuch des Gymnasiums in Komotau. Der stellvertretende Direktor des Gymnasiums, Dr.Jan Micka, stellte die Schule vor. Zur Qualität des Gymnasiums bemerkte er, 90 Prozent der Schulabgänger würden studieren.

Schüler stellen den Todesmarsch von Komotau nach

Geschichtslehrer Josef Märc ging sehr objektiv auf die Ereignisse nach Ende des Zweiten Weltkriegs ein. Dabei ließ er den Komotauer Todesmarsch nicht aus.

Seit drei Jahren würden Schüler des Gymnasiums diesen Todesmarsch, der bis zu sächsischen Grenze führte, nachstellen. Diese Geste der Versöhnung wurde von Josef Märc angeregt. "Dieser Marsch hat keine politische Dimension. Die Schüler wollen die Wahrheit wissen", erklärte Märc. Die Stadtverwaltung leiste dabei große Unterstützung. Bei älteren Einwohnern gäbe es manchmal emotionale Widerstände. Zur Haltung der Politik sagte eine Teilnehmerin aus Komotau treffend: "Die spielen den toten Käfer".

(Über den Komotauer Todesmarsch ist im Jahrbuch, Folge 10, des Heimatkreises Komotau Folgendes zu lesen: Am 9.Juni 1945 mussten sich alle Männer zwischen 13 und 65 auf den Jahnspielplätzen einfinden. Von den 8.000 erschienenen Männern werden dort etwa 28 von so genannten Partisanen bestialisch erschlagen. Der Rest wird nach dieser Orgie aus Blut und Hass an die sächsische Grenze nach Gebirgsneudorf getrieben. Dort sollen sie ins benachbarte Deutschland abgeschoben werden. Die sowjetischen Truppen verweigern die Annahme. Eine Züricher Zeitung berichtete damals, dass 360 Personen diesen Todesmarsch nicht überlebt haben. Nach drei Nächten im Freien, ohne Essen und Trinken werden sie nach Maltheuern zurückgetrieben und müssen dort unentgeltlich Zwangsarbeit leisten. Die letzten kehren nach mehreren Jahren zurück.
In der ehemaligen Glashütte "interniert" man die der Kollaboration verdächtigte oder denunzierten Personen. Für viele von ihnen ist der Tod die Erlösung von unbeschreiblichen Quälereien.)

Aufschlussreich war auch die Einstellung der Schülerinnen und Schüler zu Deutschland. Hier konnten keine Ressentiments festgestellt werden Die Schülerin Eva Kanicka sagte euphorisch: "Ich liebe Deutschland. Meine Großeltern leben in Deutschland. Jedes Jahr bin ich vierzehn Tage bei meinen Großeltern".

Märc setzte sich auch mit der Identität der jetzigen Einwohner der Stadt Komotau auseinander. In der Stadt hätten 1930 15 Prozent Tschechen gelebt. Nach der Vertreibung der Deutschen seien Tschechen, meist Landarbeiter ohne soziale Bindung, angesiedelt worden. Es erfolgte ein starke Fluktuation. Die neuen Bewohner fanden keine Wurzeln. Erst die jetzige Generation betrachte Komotau als ihre Heimat, stellte Märc fest. Zur Umweltzerstörung während der kommunistischen Zeit bemerkte er, erst heute verliere die Gegend nach und nach den "Charakter einer verlorenen Landschaft".

Gute Kontakte zu den Vertriebenen

Als Gäste waren zu dem Seminar der stellvertretende Bürgermeister von Komotau, Jan Rehak und der Museumsdirektor Stanislav Ted gekommen. Der stellvertretende Bürgermeister begrüßte den Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union. So hätten durch EU-Mittel Gebäude sowie die Fußgängerzone saniert werden können. In Zusammenarbeit mit Annaberg würden Projekte durchgeführt. Es komme darauf an, dass sich die Menschen zusammenfinden.

Der stellvertretende Bürgermeister wies auch auf das regionale Museum im Rathaus hin. Dort würden Ausstellungen die Geschichte Komotaus, auch über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gezeigt.

Museumsdirektor Stanislav Ted ergänzte dazu, Komotau sei eine Stadt mit reicher deutscher Geschichte. Er erwähnte besonders die Ausstellung über die Tschechen und Deutsche im Mai 1945. Die Stadt habe sich auch an der Gedenkstätte für die Opfer des Komotauer Todesmarsches beteiligt. Er hob weiter die guten Kontakte mit den Vertriebenen aus Komotau hervor.

Zurückgebliebene Deutsch hatten ein schweres Schicksal

Der Besuch der deutschen Minderheit gehört bei diesen Seminaren schon zum Standardprogramm der Seminare des Deutsch-Europäischen Bildungswerks.

Es kamen zwei Angehörige der deutschen Minderheit zu Wort und zwar Frau Gerda Sperl und Frau Christine Sachaowa. Frau Gerda Sperl berichtete über ihr Schicksal nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Komotau. Obwohl ihr Vater Antifaschisten war, erfolgte eine Enteignung durch die Benesch-Dekrete. Der Familie wies man eine sehr schlechte Wohnung zu. "Die Zigeuner hatten es besser als wir", sagte sie ergreifend.
Auch Frau Christine Sachaowa schilderte ihren Schicksalsweg. Sie stamme aus einer Mischehe. "1945 mussten wir innerhalb einer Stunde unser Haus verlassen. Wir kamen in das Lager 'Glashütte'. Die Verhältnisse dort sind nicht zu beschreiben. Meine Mutter wurde sehr krank. Wir mussten uns von Kohl und Kartoffeln ernähren", beschrieb sie die damalige Not.

Jugend will zur Verständigung beitragen

Der Vorsitzende des Jugendverbandes "Jukon", eine Gliederung der Landesversammlung der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien, Jan Bartos, beschrieb seinen Verein. Die Mitglieder setzten sich aus Angehörigen der deutschen Minderheit sowie aus tschechischen Jugendlichen zusammen. Ziel des Vereins sei es, durch "unser Engagement zu einem positiven Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen sowie zu anderen Minderheiten in der Tschechischen Republik beizutragen. Der Verein bestehe aus hundert Mitgliedern. Bartos verwies weiter auf gemeinsame Projekte mit der Sudetendeutschen Jugend, der Ackermann - Gemeinde sowie mit dem Verein "Antikomplex". Projekte wie "Spurensuche" würden mit der Sudetendeutschen Jugend im Grenzgebiet durchgeführt. Auch fänden Veranstaltungen mit literarischen und geschichtlichen Themen statt.

Mit einem Rundgang durch Komotau führte Frau Karin Stefanova in die wechselvoll Geschichte der Stadt ein.

Adolf Wolf (Text u. Fotos)
im Juli 2008

Der zweite Teil dieses Seminars fand in Prag statt.
Siehe: Seminar des Deutsch-Europäischen Bildungswerks in Prag